„Koalitionspartner sollten über Tellerrand schauen“

CDU-Mann Holger Gasse hält die Vorschläge der Grünen und SPD nach einer Bildungsreform nicht für „der Weisheit letzter Schluss“.

Dresden. Die sächsische CDU reagiert auf den Bildungsreform-Vorstoß von Grünen und SPD: Die Koalitionspartner würden es sich mit ihren Forderungen zu einfach machen, sagt Holger Gasse (52), der bildungspolitische Sprecher der CDU im Landtag. Die Union sieht nur „begrenzten Handlungsbedarf“, erklärt der Leipziger im LVZ-Interview, das in der Ausgabe vom 10. Februar 2022 auf Seite 9 veröffentlicht worden ist.

Ihre Koalitionspartner Grüne und
SPD fordern nach den beiden Corona-Schuljahren eine Bildungsreform. Wo sieht die CDU Handlungsbedarf?

Kein System ist so gut, dass es nicht verbessert werden kann – aber natürlich nicht mit dem Holzhammer. Grüne und SPD sollten die Tatsachen zur Kenntnis nehmen: In Sachsen haben wir deutschlandweit eines der besten Bildungssysteme. Vielleicht sollten unsere Koalitionspartner auch mal über den Tellerrand schauen und nicht nur mit einigen Schlagwörtern den Eindruck vermitteln, dass sich alle Probleme ganz leicht lösen lassen. Und nicht zuletzt: Wenn man schon etwas verändern möchte, sollten auch die notwendigen Ressourcen vorhanden sein.

Inwieweit sind Sie von den
Forderungen überrascht worden?

Diese Deutlichkeit hat mich schon überrascht. Wir hatten bei den Koalitionsverhandlungen im Herbst 2019 sehr lange und auch schwierige Verhandlungen. Dass jetzt so getan wird, als hätte es das nicht gegeben und als würde Demokratie-Unterricht oder die Gemeinschaftsschule der Weisheit letzter Schluss sein, kann ich nicht nachvollziehen. Im Tagesgeschäft der Schulen gibt es genügend Probleme, die wir zuvorderst lösen müssen.

Wo müssen Änderungen erfolgen?

An erster Stelle muss es darum gehen, den Unterricht abzusichern und ausreichend Lehrkräfte zu haben. Vor allem für die ländlichen Regionen müssen dringend mehr Lehrkräfte gefunden werden. In diesem aktuellen Umfeld kann man das System nicht komplett auf den Kopf stellen. Zumal Sachsen seit vielen Jahren immer wieder Spitzenplätze in Bildungsstudien belegt. Wenn jetzt gefordert wird, dass wir auf die Wissenschaft hören sollen, kann ich nur sagen: Genau, Wissenschaft beginnt mit der Wahrnehmung der Realität. Deshalb sehe ich nur begrenzten Handlungsbedarf.

Seit Langem gibt es Kritik an über-
füllten Lehrplänen, vor gut zwei
Jahren erfolgten erste Umstellungen. Was wäre besonders wichtig bei der vom Kultusminister angekündigten Überarbeitung?

Vor zwei Jahren gab es einen gewaltigen Aufschrei, als beispielsweise Sport oder Musik reduziert werden sollten. Genauso hat die Wirtschaft bestimmte Forderungen. Die große Herausforderung wird darin bestehen, Themen fächerübergreifend zu vermitteln. Dazu zählen unter anderem die Demokratie und die Vorbereitung auf die Lebenswirklichkeit, wie es Grüne und SPD fordern, jedoch auch Wirtschaft und Informatik. Dafür braucht es aber nicht immer ein neues Fach.

In dieser Beziehung unterscheiden
Sie sich gar nicht so gewaltig von Ihren Koalitionspartnern.

Ich habe eine andere Vorstellung von Schule. Man darf nicht vergessen, dass auch die Eltern eine große Verantwortung für ihre Kinder haben. Es ist eine falsche Vorstellung zu glauben, dass Schule alle Probleme lösen kann. Das schließt nicht aus, dass bei bestimmten Problemen gezielt reagiert werden muss – nur, das lässt sich nicht per se anordnen. Dabei hilft uns auch eine Einheitsschule nicht weiter.

Sie meinen den Vorschlag, deutlich mehr Gemeinschaftsschulen einzurichten.

Abgesehen davon, dass wir für Gemeinschaftsschulen deutlich mehr Lehrer als heute brauchen würden, frage ich: An welchem Kind soll der Lehrer dann sein Unterrichtstempo ausrichten? Irgendjemand fällt immer hinten runter. Ich habe das DDR-Schulsystem erlebt, mit einer Abitur-Quote von 10 bis 12 Prozent. Ich bezweifle stark, dass das unser Ziel für die Zukunft sein sollte.

Andreas Debski

veröffentlicht am: 10. Februar 2022Kategorien: Aktuelles, Landespolitik, Presseveröffentlichung